Wie wir im Tagebuch von Maximilian Schaitel erfahren, pflegten die Réfugiés nach der Einnahme des „Eintopfgerichts“, das ihnen in den Gasthäusern mittags gereicht wurde, in die Cafés der Stadt zu strömen, wovon es damals freilich nur drei gab, nämlich Schön, Stumpp und Kleindienst. Demnach konnte mit Sicherheit nur ein Bruchteil der in Sigmaringen lebenden Franzosen in den Genuss gekommen sein, ihre karge Verpflegung mit Kaffee und Kuchen etwas aufzubessern. Das Café Schön, an der Ecke Antonstraße/Fürst-Wilhelm-Straße gelegen, diente der französischen Partei Rassemblement National Populaire (Nationale Volkssammlung), die in der Fürst-Wilhelm-Straße 23 ihr Büro hatte, darüber hinaus auch als Treffpunkt und Tagungsort. So lud die Partei in einer Annonce in der Zeitung La France Nr. 32 vom 1. Dezember 1944 die Sektion Sigmaringen am gleichen Tag abends zu einer Versammlung ins Café Schön ein. Bei diesem Treffen, so wurde angekündigt, werde der Parteichef Marcel Déat, der in der Regierungskommission für die Verteidigung der nationalen Interessen übrigens als Delegierter für die nationale Solidarität und die Betreuung der französischen Arbeiter im Reich zuständig war, Anweisungen geben und die gegenwärtige Situation darlegen.
In einer Notiz der Zeitung La France Nr. 74 vom 23. Januar 1945 wird ein Treffen der Sektion Sigmaringen des Rassemblement National Populaire am 24. Januar 1945 um 20.3 Uhr mit einem Vortrag des Vizepräsidenten der Partei, Paul Rives, angekündigt. Das Thema lautete „Das sozialistische Europa von morgen (L’Europe Socialiste de Demain)“. Nach dem Bericht über den Vortrag in der Zeitung La France Nr. 79 vom 29. Januar 1945 war der Referent davon überzeugt, dass sich Frankreich mit seinen revolutionären, sozialistischen und syndikalistischen Traditionen in einem zukünftigen sozialistischen Europa integrieren könne.
Otto H. Becker