Nach dem raschen Vordringen der alliierten Streitkräfte im Sommer 1944 in Nordfrankreich sah sich die Wehrmacht am 16. April 1944 genötigt, ihre Truppen auf die Linie Jura-Vogesen-Marne zurückzuziehen. Da man von deutscher Seite nicht gewillt war, den französischen Staatspräsidenten Marschall Pétain dem Feind zu überlassen, wurde dieser gegen seinen ausdrücklichen Willen am 20. August 1944 in Vichy abgeholt und nach Belfort gebracht. Dorthin hatten sich bereits auch andere Regierungsmitglieder und die Führer der verschiedenen faschistischeren Gruppierungen eingefunden, die die Rache ihrer Landsleute fürchten mussten. Pétain stellte nach diesem Akt der Gewalt die Regierungstätigkeit ein. Seinem Beispiel folgten danach auch Ministerpräsident Pierre Laval (1883-1945) und andere Minister. Die Betroffenen lehnten es freilich ab, von ihren Ämtern zurückzutreten, um der Reichsregierung die Möglichkeit zu nehmen, eine neue französische Regierung einzusetzen. Von deutscher Seite setzte man nunmehr die Hoffnung auf die Extremisten, die zu einer Ultra-Kollaboration mit Deutschland bereit waren.

26 MännerReichsaußenminister von Ribbentrop betrieb danach die Bildung einer Übergangsregierung, die von Pétain ernannt oder wenigstens anerkannt werden sollte. Zu diesem Zweck zitierte von Ribbentrop die Spitzen der Kollaboration an seinen Sitz in Steinort in Ostpreußen. Wohl noch im September 1944 wurde mit der Zustimmung Hitlers eine solche Übergangsregierung mit der Bezeichnung „Regierungskommission für die Verteidigung der nationalen Interessen“ unter dem Vorsitz des Botschafters Fernand de Brinon geschaffen. Ihr gehörten ferner Marcel Déat, Vorsitzender der Nationalen Volkssammlung (RNP), der französische Kriegsheld Joseph Darnand, General Bridoux und der Präsident der Pressekorporation Jean Luchaire an. Der Favorit des Reichsaußenministers und Himmlers für den Vorsitz der Regierungskommission war freilich Jacques Doriot. Da aber davon auszugehen war, dass Doriot von Pétain weder ernannt noch anerkannt werden würde, hatte man von dessen Berufung zum Präsidenten der Regierungskommission schließlich abgesehen. Fernand de Brinon wurde jedoch ausdrücklich beauftragt, Pétain für die Ernennung Doriots zum Chef einer französischen Regierung zu gewinnen.

Als Sitz der Vichy-Regierung wurden Baden-Baden, Freudenstadt und Sigmaringen gehandelt. Sigmaringen erhielt wohl den Zuschlag, dass es am weitesten von der Front entfernt war, vor allem aber auch über repräsentative Gebäude verfügte, die für die Unterbringung eines Staatspräsidenten, einer Regierung und deren Dienststellen bestens geeignet waren. Außerdem waren die Franzosen in der kleinen Stadt mit dem dünnbesiedelten Umland von den deutschen Sicherheitsorganen bestens zu kontrollieren.

Über den Plan, die Vichy-Regierung nach Sigmaringen zu verbringen und ins Schloss einzuquartieren, wurde Fürst Friedrich von Hohenzollern (1891-1965), noch Ende des Monats August 1944 unterrichtet. Darüber berichtet Fürst Friedrich Wilhelm (1924-2010) in seiner 2004 erschienen Autobiographie „Mein Leben“: „Am 30. August hatte mein Vater [Fürst Friedrich] Geburtstag. Wir waren in Sigmaringen im Schloss im Altdeutschen Saal versammelt, und dort öffnete er ein Telegramm vom Reichsaußenminister von Ribbentrop. Darin stand: mit sofortiger Wirkung ist Schloss Sigmaringen beschlagnahmt, und zwar für den französischen Marschall Pétain und seine Vichy-Regierung. Wir bitten Sie, so schnell als möglich, das Schloss zu verlassen. Es ist hiermit beschlagnahmt“.

Näheres wurde dem Schlossherrn dann am 6. September 1944 vom Sigmaringer Regierungspräsidenten Dreher eröffnet. Danach musste das Schloss bis Freitag, dem 8. September, von den Herrschaften und allen Untermietern, Evakuierten usw. geräumt und zur Aufnahme der französischen Regierung dem Auswärtigen Amt zur Verfügung gestellt werden. Außerdem mussten die Herrschaften bis zur Ankunft der Gäste das Schloss verlassen haben. Eine Begrüßung sollte ausdrücklich nicht stattfinden. In einer Reihe von Erlassen und Anordnungen vom 7. September wurde die Beschlagnahme konkretisierst. Danach hatte ausdrücklich auch der Zwillingsbruder des Fürsten, Prinz Franz Josef mit seiner Familie das Schloss zu verlassen. Die Beschlagnahme erstreckte sich jedoch nicht auf das ganze Schloss. Einzelne Bewohner und Bedienstete des Fürsten durften in ihren Wohnungen ausdrücklich verbleiben. Die Durchführung der Beschlagnahme und die Behandlung aller aus dem Aufenthalt der Franzosen sich ergebenden Fragen wurden einem Herrn von Salza von der Deutschen Botschaft Paris in Sigmaringen übertragen.

Fürst Friedrich von Hohenzollern verließ am 8. September um 13 Uhr mit seinem Chauffeur das Schloss und begab sich zu seinem Schwager und seiner Schwester Graf und Gräfin Douglas auf Schloss Langenstein in Baden. Dort wurde er aber von der Gestapo nach Wilflingen bei Riedlingen umgeleitet und im dortigen Schloss unter Schutzhaft gestellt. Der Schlossherr, Friedrich Schenk Freiherr von Stauffenberg, befand sich damals infolge des Attentats seines Verwandten, des Grafen Claus Schenk von Stauffenberg, im Amtsgerichtsgefängnis in Hechingen in Sippenhaft. Im Schloss Wilflingen fanden sich danach auch die Fürstin mit ihren Kindern und Prinz Franz Josef von Hohenzollern mit Familie ein.

Von der Bevölkerung nahezu unbemerkt traf Marschall Pétain am 8. September 1944 zwischen 14 und 15 Uhr im Schloss Sigmaringen ein. In der Autobiographie des Fürsten Friedrich Wilhelm (1924–2010) lesen wir hierzu: „Ich habe Marschall Pétain erlebt, wie er zum Schloss hinauffuhr mit seinem Talbot, offen, zivil, und es standen meiner Einschätzung nach mindestens 120 Mann Waffen-SS mit Maschinengewehren links und rechts vom Schlossberg. Ich habe alles vom Wilhelmsbau des Schlosses, das ist ein Stück entfernt, beobachtet und hatte das Gefühl, Pétain geht hier ins Schloss als Gefangener“. Dem französischen Staatsoberhaupt und seiner Gattin wurden Räume in der 2. Etage des Leopoldbaus zu gewiesen. Ministerpräsident Pierre Laval, der mit Gattin am 9. September 1944 am Schloss ankam, erhielt als Unterkunft Räume der Josephinengemächer im ersten Stock des Leopoldbaus zugewiesen.

Der Haushalt des Marschalls umfasste noch Admiral Bléhaut, General Debeney, sein Leibarzt Dr. Ménétrel und Leutnant Sassy. Der des Ministerpräsidenten bestand aus Frau Laval, Botschafter Rochat und Direktor Paul Néreau. In einzelnen Verzeichnissen sind dann auch noch die übrigen Minister enthalten, die mit Pétain und Laval nach Sigmaringen gekommen waren. Da sich diese Gruppe ebenfalls jeglicher Regierungstätigkeit enthielt, pflegte man ihre Angehörigen als „schlafende Minister“ zu bezeichnen.

Nach Sigmaringen waren ebenfalls die Mitglieder Regierungskommission, nämlich Fernand de Brinon, General Bridoux, Minister Déat, Staatssekretär Darnand und Jean Luchaire, mit Begleitung gekommen. Im Unterschied zu den „schlafenden Ministern“ pflegte man die Mitglieder Regierungskommission als „aktive Minister“ zu bezeichnen. In weiteren Listen werden auch die Fahrer, Sekretärinnen, Kammerdiener und einzelne Personen aus dem Umfeld der französischen Politiker aufgeführt, die im Schloss untergekommen waren.

Die Zahl der Franzosen im Schloss betrug danach etwa 80 Personen. Diese wurden im Unterschied zu den zahlreichen Landsleuten, die nach den Ministern und deren Entourage nach Sigmaringen gekommen waren, im Schloss versorgt. Hierfür musste der Fürst von Hohenzollern das notwendige Personal zur Verfügung stellen. Nach den vorliegenden Listen handelte es sich dabei um ca. 50 Personen, nämlich Köche, Köchinnen, Kammerdiener und Lakaien. Bezahlt wurden die Dienstverpflichteten von der Fürstlichen Hofverwaltung aus den von dem Auswärtigen Amt für die Unterkunft der französischen Regierung im Schloss zu entrichtenden Mietzahlungen.

Otto H. Becker