Mit Bericht vom 6. September 1944 setzte der Landrat von Sigmaringen den Sigmaringer Regierungspräsidenten in Kenntnis, dass das Hotel Löwen aufgrund der §§ 5 und 25 des Reichsleistungsgesetzes vom 1. September 1939 mit sofortiger Wirkung für besondere Unterbringungszwecke sichergestellt und beschlagnahmt worden ist. Eine Fertigung der Verfügung wurde auch an den Pächter des „Löwen“, Johann Emmerich, weitergeleitet.

1) Zur Vorgeschichte

Der repräsentative Bau des „Löwen“ ist erst im Laufe einer Reihe von Aus- und Erweiterungsbauten im 19. Jahrhundert entstanden. Entscheidend waren die Erweiterungsbauten von 1887 und 1893, mit denen dann auch die Entwicklung zum Hotel ermöglicht wurde. Der Innenausbau des nunmehrigen Hotels erfolgte im Wesentlichen unter dem Hotelier Friedrich Schmid, „Grüß Gottle“ genannt, der das Anwesen 1923 käuflich erwarb und bis 1956 auch dessen Eigentümer war. In den 1930er Jahren entwickelte sich der „Löwen“ anstelle des Deutschen Hauses am Leopoldplatz zum „ersten Haus am Platze“.

Im Zusammenhang mit der Konzessionierung von Pächter Johann Emmerich 1934 wurde auch das Hotel Löwen beschrieben. Danach bestand das Hotel damals aus einem Untergeschoss und einem Hochparterre sowie aus zwei Etagen mit Fremdenzimmern. Im Hochparterre befanden sich das Gästezimmer, „Altdeutsche Zimmer“ genannt, ein Speisezimmer, ein Saal und die Küche sowie sanitäre Anlagen. Erwähnenswert dabei ist vor allem das „Altdeutsche Zimmer“ mit seinen von dem Maler Josef Lorch geschaffenen bunten Glasfenstern. Nach der Beschreibung hatten auf dem 1. und 2. Stock insgesamt 50 Betten Aufstellung gefunden. In einem Bericht aus dem Jahr 1924 ist dagegen von 32 Zimmern mit insgesamt 45 Betten die Rede.

2) Die beschlagnahmten Hotelzimmer im „Löwen“

Nach der eingangs zitierten Verfügung wurde der „Löwen“ für besondere Unterbringungszwecke“ beschlagnahmt. Das „Besondere“ bestand wohl darin, dass im Hotel des „Löwen“ ganz außergewöhnliche Persönlichkeiten aus der Zeit der deutsch-französischen Kollaboration Unterschlupf fanden.

An erster Stelle sei der Arzt und Schriftsteller Dr. Louis-Ferdinand Destouches (1894-1961) genannt, der als Schriftsteller das Pseudonym „Céline“ benutzte. Dieser bewohnte seit Anfang November 1944 bis zu seiner Abreise nach Dänemark am 22. März 1945 mit seiner Frau, der Tänzerin Lucette Almanzor, und seinem Kater Bébert das Zimmer Nr. 11 im „Löwen“. In Célines Roman „Von einem Schloss zum andern“ spielt das Hotel inmitten der Stadt zwar eine große Rolle, historisch verwertbare Informationen findet man darin jedoch kaum. Mit den übertriebenen Beschreibungen der Zustände im „Löwen“, insbesondere mit den recht unappetitlichen Schilderungen der Szenen um das WC in der 1. Etage, wollte der Schriftsteller wohl auf die unerträglichen Zustände hinweisen, die am Ende des Krieges in Sigmaringen herrschten.

Eine gewisse Zeit wohnte im „Löwen“ auch die Schauspielerin Corinne Luchaire (1921-1950) mit ihren Schwestern. Ihr Vater, Jean Luchaire, war in der französischen Regierungskommission Delegierter für Information und Propaganda. Als solcher residierte er wie seine Kollegen im Sigmaringer Schloss. Corinne Luchaire, die an Tuberkulose erkrankt war, wurde dann auf Vermittlung von Céline in eine Klinik in St. Blasien im Schwarzwald eingewiesen. Danach soll sie im Chalet (Gorheimer Straße 2), dem Sitz der Botschaft Italiens, gewohnt haben.

Im „Löwen“ wohnte ferner der SS-Sturmbannführer Karl Bömelburg. Geboren 1885 in Wuppertal wurde Bömelburg nach dem Frankreichfeldzug 1940 Chef der Gestapo von Paris. 1943/44 erfolgte seine Versetzung an den Sitz der französischen Regierung nach Vichy, wo er den SS-Obergruppenführer Carl Oberg vertrat. Im Juni 1944 schließlich übernahm Bömelburg sodann die Stelle als Leiter der Gestapo in Südfrankreich.

Für den SS-Sturmbannführer war in Sigmaringen die zweite Etage im „Löwen“ reserviert. Die Gestapo wachte somit auch in Sigmaringen über die „schlafenden und aktiven Minister“ im Schloss als auch über die Réfugiés in der Stadt Sigmaringen. Die Frau von Bömelburg, die eine Libanesin gewesen sein soll, wohnte jedoch nicht bei ihrem Gatten im „Löwen“; sie fiel vor allem durch ihre Doggen auf, die sie mit sich zu führen pflegte. Wohl die letzte Tat des Gestapo-Chefs in Sigmaringen war die Organisation der Abfahrt von Marschall Pétain am 21. April 1944 vom Sigmaringer Schloss, die ihn in die Schweiz führen sollte. Das Todesdatum von Bömelburg ist nicht bekannt.

Major Vallin, der Kommandeur der französischen Truppen, die am 22. April 1945 ohne Gegenwehr eingenommen haben, verschmähte es, im Schloss zu übernachten; er wählte hierzu vielmehr den „Löwen“.

3) Die Auseinandersetzungen um die Nutzung des Saals im „Löwen“

Die Beschlagnahme des Löwen erstreckte sich offensichtlich nur auf die Zimmer des Hotels, wie aus dem Streit um die Nutzung des Saales des „Löwen“ entnommen werden kann. Diese Auseinandersetzungen machen deutlich, wie katastrophal die Wohnverhältnisse in Sigmaringen am Ende des Krieges waren. So heißt es in einem Schreiben der Deutschen Botschaft Paris in Sigmaringen an das Landratsamt Sigmaringen vom 15. Februar 1945: „Bei den schwierigen Unterbringungsverhältnissen in Sigmaringen ist es oft nicht möglich, Personen, die in dienstlichem Auftrage des Auswärtigen Amtes auf einige Tage nach Sigmaringen kommen, unterzubringen. Die Deutsche Botschaft beabsichtigt daher, in den zum Hotel „Löwen“ gehörigen Saal ein Notquartier mit Strohbetten einzurichten. Es wird daher gebeten, den Saal des Hotels Löwen mit sofortiger Wirkung für die Deutsche Botschaft zu beschlagnahmen.“

Der Sigmaringer Regierungspräsident bemerkte am 20. Februar 1945 gegenüber dem Landrat: „Wenn die Deutsche Botschaft in dem Hotel Löwen den Saal als Notquartier mit Strohbetten für Personen einrichten will, die im Auftrage des Auswärtigen Amtes nach Sigmaringen kommen, so weise ich darauf hin, dass dieser Saal seit langer Zeit für Flüchtlinge benötigt wird, die abends mit dem Zug ankommen und in der Stadt kein anderweitiges Unterkommen finden. Insbesondere haben dort, wie ich festgestellt habe, häufig Frauen mit Kindern ein Notquartier gefunden, die andernfalls eine Unterkunft nicht gehabt hätten … Da es sich für die Botschaft in der Regel nur um Einzelpersonen handeln wird, wird es möglich sein, gegebenenfalls durch Mitwirkung der NSV, in einem Privathaus ein Bett für diese Zwecke bereit zu stellen.“

Der stellvertretende Sigmaringer Bürgermeister Staudinger teilte die negative Haltung gegenüber der Deutschen Botschaft. Er schrieb ebenfalls am 20. Februar 1945 an den Sigmaringer Landrat: „Der Saal des Hotel Löwen wird schon seit langem als Notquartier für Deutsche benützt. Einige Zeit hat der Oberkellner des Hotels Löwen mit seiner Frau darin gewohnt. Zur Zeit wohnt wieder ein Ehepaar darin. Herr Emmerich ist schon seit einiger Zeit bemüht, zusätzliche Betten zu bekommen, die er in dem Saal aufstellen will. Jeden Abend kommen mit den letzten Zügen durchreisende deutsche Flüchtlinge oder durchreisende deutsche Volksgenossen, die wegen der Inanspruchnahme sämtlicher Gasthöfe durch die Franzosen kein Quartier mehr bekommen können. Der Saal des Hotel Löwen sollte daher unbedingt als Notquartier für durchreisende deutsche Volksgenossen erhalten bleiben.“

Der Sigmaringer Kreisleiter Härlin gab in seinem Schreiben vom 27. Februar 1945 zu verstehen, dass trotz einer Beschlagnahme des Saales durch die Deutsche Botschaft auch weitere Gäste dort untergebracht werden könnten. Außerdem machte er darauf aufmerksam, dass für Durchreisende und Flüchtlinge nunmehr die Baracke an der Stadthalle zur Verfügung stehen würde.

Der Sigmaringer Bürgermeisterstellvertreter Staudinger nahm in seinem Bericht an den Landrat von Sigmaringen vom 13. März 1945 nunmehr ebenfalls eine ausgleichende Stellung ein. Er machte u.a. darauf aufmerksam, dass der Saal des „Löwen“ zurzeit lediglich von zwei Flüchtlingen aus Ostpreußen belegt sei. Demnach sei es dem Pächter des Löwen Emmerich noch nicht gelungen, zusätzliche Betten für eine stärkere Belegung des Saals zu bekommen. Der Bürgermeisterstellvertreter machte in seinem Bericht ferner darauf aufmerksam, dass für Flüchtlinge nunmehr eine Baracke auf dem Adolf-Hitler-Platz zur Verfügung stünde, wodurch der größte Notstand beseitigt sei. Da der Pächter des Löwen wohl keine Aussicht habe, Betten zu bekommen, sei die Deutsche Botschaft jetzt aber durchaus in der Lage, Betten zu besorgen. Die Deutsche Botschaft könnte damit sowohl deutschen als auch ausländischen Gästen in dem Saal ein zusätzliches Unterkommen verschaffen.

Da in dem Aktenfaszikel keine definitive Entscheidung ermittelt werden konnte, darf man wohl davon ausgehen, dass der Saal des Hotels Löwen, der heute noch vielen Sigmaringern von den Fastnachtsbällen bestens in Erinnerung ist, in den letzten Wochen des Krieges sowohl für durchreisende Deutsche als auch für Diplomaten des Auswärtigen Amtes zur Verfügung stand.

4) Das Hotel Löwen in der Zeit danach

Im Mai 1945 wurde das Hotel von der Militärregierung beschlagnahmt. Es diente den französischen Offizieren als Kasino. Die Rückgabe des Hotels an den Eigentümer erfolgte am 1. Dezember 1948. Da der frühere Pächter Johann Emmerich als „Parteigenosse" in das Internierungslager nach Balingen gekommen war, musste Friedrich Schmid als Eigentümer das Hotel wieder persönlich übernehmen. 1956 verkaufte der „Grüß Gottle“ genannte Eigentümer Schmid das Hotel Löwen an die Familie Frey. Vor allem unter Georg Frey, der im Hauptberuf Direktor der Hohenzollerischen Milchzentrale in Sigmaringen war, blühte das Hotel Löwen wieder auf. Die damaligen Fastnachtsbälle im „Löwen“ besitzen bei der älteren Generation heute noch Kultcharakter. Wie in der Schwäbischen Zeitung vom 10. Mai 1958 berichtet wird, wurden auf der 2. Oberrheinischen Hotel-und Gaststätten- Fachausstellung in Karlsruhe überdies sowohl der Besitzer als auch der Saucier des Hotels Löwen, Georg Frey und Karl Ahaus, mit je einer Goldmedaille ausgezeichnet. Im gleichen Jahr erhielt das Hotel ein weiteres Stockwerk.

Nach dem tödlichen Verkehrsunfall von Georg Frey 1968 konnte der „Löwen“ sein Niveau nicht mehr halten. Er geriet in rascher Folge an verschiedene Eigentümer und Pächter. Dabei verlor er schließlich auch den Charakter als Hotel. Die nicht mehr als Hotelzimmer benötigten Räume wurden zeitweise von der Hohenzollerischen Landesbank genutzt, die zu diesem Zweck eine Brücke vom Bankgebäude zum „Löwen“, im Volksmund „Seufzerbrücke“ genannt, errichten ließ. Heute ist der „Löwen“ ein Gasthaus.

Otto H. Becker